Umsatzsteuer

FG-Rechtsprechung: Längere Nichtzahlung als Indiz für Uneinbringlichkeit i. S. des § 17 UStG

Werden Lieferungen oder Leistungen nicht beglichen, kann der Leistende seine USt-Schuld entsprechend korrigieren. Anders als bei den ertragsteuerlichen Pauschal- oder Einzelwertberichtigungen muss umsatzsteuerrechtlich aber die Uneinbringlichkeit der offenen Forderung nachgewiesen werden. Während die Rechtsprechung die Messlatte für den Nachweis bislang recht hoch ansetzte, hält das FG Berlin-Brandenburg (11.9.17, 7 V 7209/17) nun auch das Indiz der längeren Nichtzahlung für ausreichend.

1. Ausgangsproblematik

Nach dem Grundsatz der Sollbesteuerung muss ein Unternehmer die auf seine erbrachten Lieferungen/Leistungen entfallende USt bereits nach der Leistungserbringung an den Fiskus abführen. Bleibt die Zahlung jedoch ganz oder teilweise aus, kann der Unternehmer die abgeführte USt vom Finanzamt nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG insofern zurückerlangen, als seine Vergütungsforderung uneinbringlich geworden ist. Häufiges Praxisproblem bei dieser Korrekturmöglichkeit ist jedoch, dass der Begriff der Uneinbringlichkeit im Gesetz weder definiert noch konkretisiert wird:

Beispiel
U betreibt in einem Ladenlokal einen Einzelhandel mit Elektronikkomponenten und bietet diese per Versandhandel auch über das Internet an. Soweit er bei Kunden eine Bezahlung „auf Rechnung“ akzeptiert und diese nicht oder nur anteilig beglichen werden, verzichtet er bei offenen Beträgen bis 20 EUR nach zweimaliger erfolgloser Mahnung auf weitere Beitreibungsmaßnahmen. Er schreibt die Restforderung per Einzelwertberichtigung ertragsteuerlich ab und korrigiert auch die USt in der USt-Voranmeldung.
Die auf dem kaufmännischen Vorsichtsprinzip beruhende ertragsteuerliche Forderungsberichtigung berechtigt den Unternehmer aber nicht automatisch zur entsprechenden umsatzsteuerlichen Folgeberichtigung. Nach gefestigter BFH-Rechtsprechung ist eine Forderung nämlich nicht bereits uneinbringlich, wenn der Leistungsempfänger nach Fälligkeit durch schlichte Zahlungsverweigerung in Verzug gerät. Uneinbringlichkeit liegt vielmehr erst dann vor, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass die Entgeltforderung jedenfalls auf absehbare Zeit nicht durchsetzbar/beitreibbar sein wird (BFH 20.7.06, V R 13/04).

Beachten Sie | Dies ist z. B. in Insolvenzfällen oder beim substantiierten Bestreiten der Begründetheit der Forderung durch den Schuldner (z. B. bei Reklamation gravierender Mängel an der erbrachten Leistung (BFH 22.4.04, V R 72/03)) als gegeben anzusehen.

Bislang verweigern die Finanzämter häufig die USt-Korrektur bei schlichter Zahlungsunwilligkeit mit der Begründung, das Gesetz spreche nicht von Zahlungs-Verzug, sondern von Uneinbringlichkeit. Bereits aus dieser Formulierung ergebe sich das Erfordernis des erfolglosen Bemühens um die Einbringung der Entgeltforderung (so auch FG Nürnberg 3.6.14, 2 K 1058/13).

Infolge dieser ablehnenden Haltung steckt der leistende Unternehmer in dem Dilemma, dass er die USt zugunsten der Staatskasse vorzufinanzieren hat. Bei fehlendem Zahlungseingang muss er zum Nachweis der Uneinbringlichkeit weiteren „Beitreibungs-Aufwand“ (z. B. mittels Anwalt/Inkassounternehmen) leisten. Hier könnte die Entscheidung des FG Berlin-Brandenburg zur Abschwächung des bisherigen Nachweiserfordernisses führen.

2. Der Beschluss des FG Berlin-Brandenburg

In dem Verfahren des FG Berlin-Brandenburg rechnete L ihre gegenüber der U erbrachte Vermittlungsleistung i. H. von rund 500.000 EUR netto (zzgl. USt) am 27.12.07 ab. U machte den Vorsteuerabzug aus der Rechnung geltend, überwies jedoch erstmals am 18.4.08 einen Teilbetrag über 100.000 EUR (brutto). Da die Zahlungsschwierigkeiten anhielten, U aber von Zahlungszuflüssen aus einem Vermittlungsgeschäft ausging, vereinbarten die Parteien am 19.2.09 zunächst eine Stundung bis zum 30.4.09. Danach sollten Ratenzahlungen erfolgen.

Nachdem im Juli 2010 eine Teilzahlung (25.000 EUR brutto) erfolgte, teilte U der L am 22.12.10 mit, die Hoffnung auf weitere Zahlungseingänge sei drastisch gesunken, da sie sich mit ihren Geschäftspartnern auf eine Halbierung ihrer Vergütung habe einigen müssen. U zahlte fortan nur noch eine Rate. In 2012 wurde eine erweiterte Stundungsregelung getroffen. Die aufgelaufenen Zinsen wurden mit Ausnahme gesetzlicher Verzugszinsen erlassen.

Das FA verfügte gegenüber U eine Vorsteuerrückforderung wegen Uneinbringlichkeit (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG) in der USt-Festsetzung 2013. Diese lehnte das FG Berlin-Brandenburg jedoch ab und gewährte Aussetzung der Vollziehung des USt-Bescheids für 2013 – und zwar aus folgenden Gründen:

Auch ohne erfolglose Beitreibungsbemühungen ist ein Überschreiten des Zahlungsziels um das zwei- bis dreifache der Zahlungsfrist, mindestens um mehr als 6 Monate, ein Indiz für eine Uneinbringlichkeit (so auch FG Berlin-Brandenburg 14.1.15, 7 K 7250/13).

Uneinbringlichkeit hat nicht erst in 2013, sondern – wegen der Mitteilung der U vom 22.12.10 – bereits in 2010 vorgelegen. Selbst wenn man den Eintritt der Uneinbringlichkeit in 2010 verneinen würde, wäre er spätestens in 2012 zu verorten, als U keine Rate zahlte und L auf Zinsansprüche verzichtete.

Während ertragsteuerlich rechtsfehlerhaft unterlassene Einzelwertberichtigungen durch eine Bilanzberichtigung in der ersten offenen Veranlagung erfolgswirksam nachgeholt werden können, sind Korrekturen nach § 17 UStG „unverrückbar“ auf den zutreffenden Besteuerungszeitraum fixiert. Sie können also nicht in einem späteren Steuerjahr nachgeholt werden.

3. Relevanz für die Praxis

Bislang wurden leistende Unternehmer bei einer Korrektur auf den zivilrechtlichen Verjährungsstichtag ihrer Forderung verwiesen – zumindest, wenn sie keine erfolglosen Beitreibungsversuche oder „substantiiertes Bestreiten“ des Kunden nachweisen konnten. Unter Hinweis auf die o. a. Rechtsprechung können sie nun mit guten Argumenten auf eine frühere USt-Korrektur drängen.

Beachten Sie | Korrekturen nach § 17 UStG wirken bei den Vertragsbeteiligten spiegelbildlich: Während die FG-Rechtsprechung für den Leistenden eine frühere Entlastung von der vorfinanzierten USt bedeutet, dürften die Finanzämter bei Leistungsempfängern auf eine frühere Vorsteuerkorrektur drängen.

Der FG-Beschluss illustriert zudem eindrucksvoll den umsatzsteuerlichen Grundsatz „wer zu spät kommt, den bestraft die Abschnittsbesteuerung“, der nicht nur bei § 17 UStG (BFH 8.3.12, V R 49/10), sondern auch beim Vorsteuerabzug zur „Silvesterfalle“ werden kann (BFH 13.2.14, V R 8/13, Rz. 24 ff.).

Praxistipp | Eine USt-Festsetzung erfolgt in der Regel unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, sodass eine „jederzeitige“ Änderungsmöglichkeit besteht. Dennoch sollten leistende Unternehmer eine Korrektur nach § 17 UStG frühzeitig erklären. Denn sonst besteht die Gefahr, dass eine nachträgliche Berücksichtigung im Ursprungsjahr verfahrensrechtlich (insb. wegen Verjährung) nicht mehr möglich ist.
Abzuwarten bleibt allerdings, ob sich die Finanzämter der FG-Formel „Überschreiten des Zahlungsziels um das zwei- bis dreifache der Zahlungsfrist, mindestens um mehr als 6 Monate“ anschließen – und ob insofern auch beide beteiligten Finanzämter eine synchrone Einschätzung vertreten werden. Sicherstellen könnte dies nur eine Weisung durch das BMF.

Beachten Sie | Die Diskussion hinsichtlich der Uneinbringlichkeit ist selbst bei einem Forderungsverkauf nicht vermeidbar: Denn wird z. B. eine Forderung über 1.190 EUR in Höhe des hälftigen Nominalwerts an ein Factoring-Unternehmen abgetreten, tritt hierdurch noch keine Minderung der Bemessungsgrundlage i. S. von § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG ein. Maßgebend ist alleine, ob bzw. was der Zahlungsschuldner (dann gegenüber dem neuen Forderungsgläubiger) auf die Forderung zahlt (BFH 6.5.10, V R 15/09; BFH 29.10.10, V B 123/09).

Praxistipp | Betriebsprüfer akzeptieren in solchen Fällen aber inzwischen „schätzweise Abschläge“ und damit zumindest eine teilweise USt-Korrektur (so z. B. OFD Frankfurt a. M. 8.2.11, S 7200 A - 254 - St 111).
Eine Uneinbringlichkeit „von Anfang an, aber auf Zeit“ akzeptiert das BMF (3.8.15, III C 2 - S 7333/08/10001: 004), wenn Forderungs-Teilbeträge z. B. wegen gewährleistungsbedingten Sicherungseinbehalten bei Werkverträgen erst zu einem späteren Zeitpunkt fällig werden. Der BFH hat beim EuGH nun insofern angefragt, ob eine entsprechende vorübergehende Uneinbringlichkeit auch bei Sukzessiv-Vergütungen (z. B. Ratenzahlungen) gelten soll (BFH 21.6.17, V R 51/16; EuGH C-548/17). Die weitere Entwicklung bleibt daher abzuwarten.


IWW-Institut, Würzburg